ADHS: Auch Diagnostiker haben Schwierigkeiten oder wie Ärzte Enten jagen gehen

Das Wort DIAGNOSE kommt aus dem griechischen und setzt sich zusammen aus den beiden Wörtern diá, das bedeutet soviel wie „durch“. Das kennt man noch von früher, wenn man bei Freunden Urlaubsdias gucken musste so einen Abend lang. Da musste man dann DURCH. Daher der Name! Und gnósis heißt „Erkenntnis“. Also „durch Erkenntnis“ kommt man zur Krankheit. Oder kurz: Erkenntnis macht krank. Gemeint ist natürlich, dass man erst „durch“ das Wartezimmer muss, um die Erkenntnis zu kriegen, dass man sich das Ganze in den meisten Fällen hätte sparen können. Kamillentee trinken, Hustenbonbon lutschen und drei Tage abwarten. Manches klärt sich von selbst in der Medizin. Oder um es mit Goethe zu sagen:

„Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;

Ihr durchstudiert die groß´ und die kleine Welt

Um es am Ende gehn zu lassen,

Wie´s Gott gefällt.“ (Faust, Schülerszene)

Bei ADHS sieht das ein wenig anders aus: Die Diagnosestellung ist echt mühsam. Normalerweise geht man zu einem Arzt, beschreibt dem welche Beschwerden einen plagen, und der sagt einem anschließend, welche Beschwerden man wirklich hat. Oder man darf sich eine Diagnose aussuchen (F45.2 Hypochondrie). Bei ADHS ist das komplizierter, weil es wie bei den meisten psychischen Erkrankungen, keine körperlichen Marker gibt. Man kann eben niemanden röntgen, Blut abnehmen oder ultraschallen und anschließend steht fest: Jawohl, hier liegt ADHS vor. Nein, so geht das nicht.

Die Diagnosen erfolgen meisten nach eingehender Testung und Befragung möglichst vieler Beteiligter (Eltern, Lehrer, Erzieher). Dazu muss man wissen wie psychiatrische Diagnosen funktionieren.

Stellen Sie sich folgendes vor:

Ein Allgemeinmediziner, ein Psychiater, ein Chirurg und ein Pathologe fahren nach Kanada zum Entenjagen. (Wissen Sie was ein Pathologe ist? Das sind die Leute, die sich nicht so gerne in Schubladen stecken lassen.)

Aber zurück zu unseren vier Ärzten: Am ersten Morgen geht der Allgemeinmediziner raus, kommt sehr schnell wieder herein und sagt: „Draußen sind Tiere!“ (Mehr kann der nicht als so eine allgemeine Aussage.)

Der Psychiater geht raus und bleibt extrem lange draußen. Als er wieder reinkommt, sagt er: „Draußen sind Tiere. Die sehen so aus wie Enten. Die sind auch so groß wie Enten. Die machen auch so Geräusche wie Enten. Die benehmen sich auch wie Enten. Aber ob es wirklich Enten sind, kann ich nicht abschließend sagen.“

Der Chirurg nimmt seine Flinte, geht raus, schießt, kommt wieder rein und sagt zum Pathologen: „Sieh mal nach, ob´s Enten waren!“

Zur Ehrenrettung der Psychiater sei gesagt, dass die Diagnosestellung wirklich einige Schwierigkeiten birgt: körperliche Marker fehlen wie gesagt, also sind eben die oben beschriebenen Verfahren völlig unwirksam und man würde so aufwendige Verfahren wie ein Schädel CT nur anstellen, um andere (körperliche) Erkrankungen auszuschließen – in einer sogenannten Differentialdiagnostik.

Was dem Facharzt bleibt ist die Verhaltensbeobachtung. Die birgt aber die Schwierigkeit, dass sich die Kinder in einer Arztpraxis oft gar nicht so verhalten wie sie es in ihrer gewohnten Umgebung tun. Nicht wenige Eltern sind schier verzweifelt, weil das Kind sich weigert Verhaltensauffälligkeiten zu zeigen. Als ich einmal eine Familie besuchte, bei der die endgültige Diagnose noch offenstand, und ich die Interaktion des Kindes mit seinen Eltern beobachten wollte, verhielt sich das Kind ziemlich normal. Die Eltern waren unruhig und nach 20 Minuten fragte mich die Mutter: „Soll ich ihn mal etwas anstacheln?“

Bleiben für eine ordentliche ärztliche Diagnose noch Befragungen von Eltern, Großeltern, Lehrer oder anderen Bezugspersonen. Man sollte niemals die Betroffenen fragen! Sie wissen es selbst: Patienten sagen so gut wie nie die Wahrheit – allenfalls Teilwahrheiten. Die Amerikanische Psychiater-Vereinigung warnt ihre Mitglieder sogar ausdrücklich davor, die Betroffenen zu befragen, bzw. den Aussagen Glauben zu schenken.  Warum die das tun? Das liegt an der Störung selbst, genauer gesagt an der Wahrnehmung der Umwelt durch die Betroffenen. Ein Beispiel das mir unzählige Eltern, Lehrerinnen oder Erzieherinnen so oder so ähnlich berichtet haben: Man sieht wie das entsprechende Kind etwas „falsches“ macht, einem anderen Kind ein Beinchen stellt zum Beispiel. Spricht man das Kind daraufhin an, sagen die mit völliger Überzeugung und tief empört: „Das war ich nicht!“

Die haben den Baseball-Schläger noch in der Hand haben und weit und breit kein anderes Kind als Täter für die zerbrochene Fensterscheibe in Frage kommt, aber „gefühlt“ sind sie unschuldig. Übrigens fangen nicht selten genauso Politiker-Karrieren an. Gut, manchen enden auch genauso.

Für den ADHS-Leser:

Die Diagnose braucht ziemlich lange – bei vielen psychischen Störungen. Das ist natürlich eine Zumutung für Menschen mit einer mangelhaften Aufmerksamkeitsspanne!

Körperliche Merkmale gibt es keine, daher helfen nur die Beobachtungen von „Außenstehenden“

 


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