Als einige namhafte Forscher in den USA eine große Studie anleierten, waren die Anti-Medikamenten-Experten über die Ergebnisse entsetzt. Denn viele Forscher hatten eine gute Verbindung zu dem Pharmazieunternehmen „NOVARTIS“. Dabei ging es im wesentliche um einen Vergleich multimodaler Behandlungen (Multimodal Treatment Study oder auch MTA-Studie).
In der Studie zeigte sich, dass das hauseigene Produkt („Ritalin“) unglaublich gute Wirkungen erzielte. Da sagten einige, das wäre so, als würde man Köchen überlassen, sich selber Michelin-Sterne zu verteilen. Da macht dann auch das Motto von Tim Mälzer wieder Sinn: Schmeckt nicht, gibt´s nicht! (Übrigens ein Motto, das in vielen deutschen Universitäts-Mensen täglich erfolgreich widerlegt werden kann.)
Die einfache Wahrheit dieser großen Studie war, dass es – nach sechs Monaten Laufzeit – in den vier Gruppen sehr, sehr unterschiedliche Ergebnisse gab. Es gab eine Gruppe, die eine 08/15 Behandlung bekam, eine andere Gruppe erhielt Elterntraining, eine weitere Gruppe bekam Medikamente fürs Kind und in der vierten Gruppe wurden die Eltern trainiert und die Kinder medikamentiert.
Dass die Gruppe jener Eltern, denen kaum Behandlung zuteil wurde,bei jeder Befragung die Schlusslichter waren, nimmt man in der Wissenschaft in Kauf – das ist die sogenannte „Kontrollgruppe“. Die kontrollieren nicht, die werden kontrolliert. Wenn es der Kontrollgruppe am Ende besser geht als der „Interventionsgruppe“, kann man zweifelsfrei sagen, dass die Intervention ziemlicher Unfug ist. Es könnte natürlich auch sein, dass man einer wissenschaftlichen Sensation auf der Spur ist: eine Erkrankung, die durchs Aussitzen besser wird –und damit meine ich jetzt nicht Hämorrhoiden.
Zahlreiche Experten schrieben wütende Fachartikel: es sei doch kein Wunder, dass eine Forschung, die doppelt gedopt sei, diese Ergebnisse zu Tage fördere. Schließlich gab Geld UND Ritalin vom Konzern.
Wie entspannt reagierte die Fachwelt auf die weiteren Ergebnisse: Langfristig zeigt sich nämlich, dass die Gruppe, die ausschließlich Elterntrainings erhielt, ebenso gut abschnitt wie die anderen beiden „Therapie“-Gruppen (Medikamente und Medikamente + Elterntraining).
Etwas vereinfacht könnte man also sagen, je nachdem wie heftig man sich auf den Finger haut mit dem Hammer, desto mehr „Kühl- und Schmerzmittel“ sollte man nutzen. Der grundsätzliche Verzicht auf eines davon macht wenig Sinn.
Oder anders: Wenn die Familie extrem leidet, macht es Sinn Medikamente und Elterntraining zu machen.
Ja, ich weiß, bei einigen geht gerade der Blutdruck durch die Decke und bevor Sie jetzt erst Betablocker schlucken und anschließend wütende email schreiben, hier noch der Hinweis auf eine andere Forschung: Pelham und Kollegen (2000) konnten zeigen, dass es möglich ist, gänzlich auf den Einsatz von Medikamenten zu verzichten, wenn man ein sehr aufwändiges Trainingsprogramm durchführt (dessen Übertragbarkeit auf Deutschland jedoch sehr zweifelhaft ist). Einschränkend erwähnen die Forscher, dass für eine große Zahl der Betroffenen (43-70%) keine „Normalisierung“ erreichbar sei.
Für den ADHS-Leser:
Eine gute Kombinationstherapie verspricht den besten Erfolg.
Für alle, die mehr wissen wollen:
Jensen, P. S., Arnold, L.E., Swanson, J.M., Vitiello, B., Abikoff, H.B., Greenhill, L. L., Hechtman, L., Hinshaw, S. P., Pelham, W. E., Wells, K. C., Conners, C.K., Elliott, G. R., Epstein, J.N., Hoza, B., March, J. S., Molina, B.S.G., Newcorn, J. H., Severe, J. B., Wigal, T., Gibbons, R.D. und Hur, K. (2007): “3-Year Follow-up of the NIMH MTA Study” in Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, Vol. 46 (8), Seite 989-1002
Pelham jr., W E., Gnagy, E. M., Greiner, A.R., Hoza, B., Hinshaw, S.P., Swanson, J.M., Simpson, S., Shapiro, C., Bukstein, O., Baron-Myak, C. und McBurnett, K. (2000): „Behavioral versus Behavioral and Pharmacological Treatment in ADHD Children Attending a Summer Treatment Program” in Journal of Abnormal Child Psychology, Vol. 28 (6), Seite 507-525
Swanson, J.M., Kraemer, H.C., Hinshaw, S.P., Arnold, E., Conners, C. K., Abikoff, H.B.., Clevenger, W., Davies, M., Elliott, G.R., Greenhill, L.L., Hechtman, L., Hoza, B, Jensen, P.S., March, J.S., Newcorn, J.H, Owens, E.B., Pelham, W.E., Schiller, E., Severe, J.B., Simpson, S., Vitiello, B., Wells, K.C., Wigal, T. und Wu, Min (2001): “Clinical Relevance of the Primary Findinds of the MTA: Success Rates Based on Severity of ADHD and ODD Symptoms at the End of Treatment” in Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, Seite 168-179
Swanson, J.M., Hinshaw, S. P., Arnold, L.E., Gibbons, R.D., Marcus, S., Hur, K., Jensen, P. S., Vitiello, B., Abikoff, H.B., Greenhill, L. L., Hechtman, L., Pelham, W. E., Wells, K. C., Conners, C.K., March, J. S., Elliott, G. R., Epstein, J.N., Hoagwood, K., Hoza, B., Molina, B.S.G., Newcorn, J. H., Severe, J. B. und Wigal, T. (2007): “Secondary Evaluations of MTA 36-Month Outcomes: Prospensity Score and Growth Mixture Model Analyses” in Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, Seite 1003-1014