Über die Ursachen der ADHS gibt es bislang keine eindeutigen Befunde. Es scheint einigermaßen gesichert zu sein, dass es sich um eine Störung handelt, die sich nur über das Zusammenspiel verschiedener Faktoren erklären lässt. Das nennt der Experte dann „multifaktorielle Entstehung“. Das ist, frei übersetzt, die Beschreibung für „Wir haben keine Ahnung vorher es kommt.“
Wir müssen uns aber jetzt nur drei Dinge merken:
- ADHS wird vererbt … nicht unbedingt im rein genetischen Sinne, aber dreiviertel der Kinder mit ADHS hat Eltern, die als Kind unter den gleichen Symptomen litten. – Wir erinnern uns noch daran, dass Jungs zu Mädchen im Verhältnis stehen etwa 3:1 oder 4:1. Das heißt umgekehrt, dass die Wahrscheinlichkeit, es von der Mutter geerbt zu haben mindestens um den Faktor 3 kleiner ist!
- Sozioökonomische und familiäre Faktoren: Also die Frage danach, in welche Familie wird das Kind hineingeboren und wie geht es dieser Familie. Dabei ist das Verhalten während der Schwangerschaft sehr wichtig: Wenn die Mutti raucht oder säuft, schadet das dem werdenden Leben, Umweltgifte kommen als Risiko dazu, aber auch Stress während der Schwangerschaft, und damit ist eben nicht gemeint, dass man als Frau nach der Fußpflege noch schnell mit der Freundin schoppen muss, sondern echter Stress: Die Wohnung zu klein, das Geld zu knapp oder der Gatte zu klein, der Gatte zu knapp.
Obendrauf kommt noch ein geringes Geburtsgewicht, durch Mangelernährung der Mutter. Und eine ganze Reihe möglicher Komplikationen: geringer sozioökonomischer Status, alleinerziehende Elternteile, Patch-work Familien, schlechte Schulbildung der Eltern und psychische Erkrankungen der Eltern sind wiederum Risikofaktoren, die – ganz allgemein – zu einer psychischen Schädigung des Kindes führen können.
Und ganz im Ernst: Das ist kein individuelles Problem, das ist ein gesellschaftliches Problem, das wir gemeinsam lösen müssen und von dem wir nicht sagen können: Tja, Gnädigste, da haben Sie eben Pech gehabt!
Wer eine schlechtere Schulbildung hat, bekommt einen schlechteren Job und verdient weniger Geld. Das wirkt sich eben negativ auf aus den stressanfälligen Nachwuchs. – Es steigt das Risiko, wenn man an den drei entscheidenden Stellen nicht aufpasst: in der Schule, bei der Berufswahl und beim Aussuchen des Partners.
Bleiben wir noch etwas beim Verkehr: Das sind eben Züge, die abgefahren sind, daran können Sie nichts mehr ändern. Selber schuld: Sie haben sich den Typen ausgesucht (Gene und Vererbung!) und sie haben es in der Schwangerschaft gemeinsam verbockt (Stress, Drogen, Alkohol, etc.).
Beide ICEs sind abgefahren, aber Erziehungsverhalten – als dritte Variable – ist die S-Bahn, die alle halbe Stunde fährt. Und die kann man eben täglich verändern oder sich bemühen, es zu verändern.
Wissenschaftler (Esser u.a., 2007) haben immer wieder Mütter und ihre Kinder beobachtet und festgestellt, dass in den ersten Wochen nach der Geburt, das Verhalten von Müttern nicht als Indikator für später auftretende psychische Störungen zweifelsfrei identifiziert werden kann. Das bedeutet, dass die Mütter mit ihren späteren ADHS-Patienten-Kindern genauso umgehen, wie alle anderen Mütter auch. Nicht besser, nicht schlechter!
Aber im Alter von zwei Jahren haben die Mütter und ihre Kinder bereits ein solch anderes Verhalten mit einander entwickelt, dass man mit einer hohen Wahrscheinlichkeit voraussagen kann, ob das Kind später eine ADHS haben wird oder nicht. Wobei keiner sagen kann, was dabei Henne und Ei ist. Wer die Glucke ist, ist klar, aber was diese veränderte Interaktion ausmacht, ist unklar: ist es das andere Verhalten des Kindes oder verhält sich die Mutter anders.
Die logischste Erklärung ist, dass beide mit einander ein für beide Seiten abträgliches Verhaltensmuster „erfunden“ haben, aus dem beide keinen Ausweg finden.
Für den ADHS-Leser: Keiner weiß genau, woher es kommt. (Der Fachmann sagt: multifaktoriell). Ungünstig sind materielle Not, Stress der Eltern und ungünstiges Erziehungsverhalten.
Für alle, die mehr wissen wollen:
Banerjee, T.D., Middleton, F. und Faraone S.V. (2007): “Environmental risk factors for attention-deficit hyperactivity disorder” in Acta Paediatrica, Seite 1269-74
Esser, G., Fischer, S., Wyschkon, A. u.a. (2007): „Vorboten hyperkinetischer Störungen – Früherkennung im Kleinkindalter“ in Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Vol. 35 (2), Seite 127-136
Faraone S.V., Perlis R.H., Doyle A.E.,Smoller, u.a. (2005): “Molecular genetics of attention deficit hyperactivity disorder” in Biological Psychiatry, Seite 1313-1323
Spencer, T.J., Biederman, J. und Mick, E (2007): “Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder: Diagnosis, Lifespan, Comorbidities, and Neurobiology“ in Journal of Pediatric Psychology, Seite 631-642