ADHS: Ausgesprochen diskutierfreudig, humorvoll, sensibel

Neulich kam nach einem Auftritt ein freundlicher, älterer Her zu mir und sagte: „Sie erzählen viel über ADHS, aber Sie sagen nichts zu den positiven Seiten!“

Stimmt!

Das hat jetzt ein Ende!

Wir alle kennen die literarischen Figuren Michel aus Lönneberga und Tom Saywer. Wir haben gelacht über das Sams (zugegeben kein Mensch), und über den etwas exzentrischen Karlsson vom Dach. Alle diese Figuren wären ritalinpflichtig. Einer meiner persönlichen Lieblinge ist „Calvin“ von Bill Watterson, das sind großartige Comics, witzig, originell und voller Zuneigung zur kindlichen Sicht der Welt.

Wenn man mit Eltern spricht und sich von denen schildern lässt, was die Kinder gut können, dann sagen die meistens Sachen wie: „Mein Kind ist phantasievoll, kreativ, hilfsbereit, sensibel, fröhlich, neugierig und kreativ.“ Viele beschreiben, dass ihr Kind über einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn verfügt und seinen Charme spielen lassen kann – vor allem, wenn es etwas erreichen will (Stichwort: Taschengelderhöhung). Wenn die Kinder etwas älter sind, dann sagen Eltern schon mal: „Der diskutiert und diskutiert …“ das nehmen die meisten jetzt nicht unbedingt als Stärke wahr; bei Lichte besehen ist es aber eine!

Ein alleinerziehender Vater erzählte mir vor Jahren von seinem perfekten Plan für die Weihnachtsfeiertage: Er habe, um in Ruhe ausschlafen zu können und die Tage eher ungestört zu verbringen, seinem Sohn (7 Jahre) zu Weihnachten den großen LEGO-STAR-WARS-Sternenzerstörer besorgt.  Wie er fand, ein äußerst trickreiches Manöver; denn der Sohn brauche bestimmt tagelang, um dieses Teil zusammen zu kriegen. Er könne derweil in Ruhe ein Buch lesen oder kochen oder einfach nichts tun.  Im Januar berichtete er mir dann, dass der Sohn begeistert am Heiligabend ans Werk ging und – nach einer kurzen Nacht – weckte er morgens gegen neun Uhr seinen Vater, um ihm zu verkünden, das Raumschiff sei nun fertig und er müsse jetzt mal gucken kommen. Noch bevor der Vater die erste Tasse Kaffee intus hatte, stand er bereits vor einem fertig aufgebauten imperialen Sternezerstörer. Stolz ging er ins Kinderzimmer und holte das Raumschiff: „Hier! Toll, ne!? Hat er ganz alleine zusammengebaut!“ Über die Festtage hätten sie gemeinsam manche Weltraumschlacht geschlagen, aber er sei auch tatsächlich zum Lesen gekommen.

Das nennt der Fachmann Hyperfokussierung: also die Fähigkeit, sich ganz und gar einer Sache zu widmen und konzentriert etwas zu Ende zu bringen. – Sofern es denn über eine große Wichtigkeit für denjenigen verfügt. Musiker berichten manchmal davon, dass sie im „Flow“ sind und sich ganz der Musik hingeben. Sie musizieren stundenlang, ohne das Vergehen der Zeit zu bemerken. – Ein Zustand den man sich immer dann wünscht, wenn die Schwiegermutter zu Besuch kommt. Da hat man das gegenteilige Gefühl: Die Minuten werden in Hundejahren gezählt.

Gerade Eltern, die ein sehr gutes und liebevolles Verhältnis zu ihren ADHS-Kindern aufbauen können, erleben die positiven Seiten besonders stark: Die Kreativität und die Begeisterungsfähigkeit.

Im schlechtesten Falle sind Eltern frustriert darüber, dass das Kind zwar stundenlang mit Bausteinen spiele, aber erst nach 30 Minuten häuslicher Auseinandersetzung überhaupt bereit sei, sich an den Schreibtisch zu SETZEN, um anschließend (vielleicht) Hausaugaben zu machen.

An der Stelle wäre es ja nur allzu verlockend, all jene Prominente aufzuzählen, die sich zu ihrer ADHS bekannt haben, oder diejenigen, denen man sie nachsagt. Wolfgang Amadeus Mozart soll eine solche Störung gehabt haben; leider ist es unmöglich, posthum „richtige“ Diagnosen zu stellen und vielleicht deswegen musste Mozart schon für so manche psychische Störung Pate stehen! Das halte ich für gefährlichen Unfug!

Einstein ist wiederholt sitzen geblieben. Dennoch gilt: Nicht jeder zweimalige Sitzenbleiber wird Nobelpreisträger! Es nützt den Betroffenen herzlich wenig, wenn man ihnen erzählt, dieser oder jener habe ebenfalls ADHS gehabt. Auf diese Liste kommen zwar Leute wie der Olympia-Gold-Schwimmer Michael Phelps. Aber eben auch Kurt Cobain. Und man muss ja nicht jedem Vorbilder nachhängen.

Niemand wird erfolgreich, weil er ADHS hat. Und niemand bleibt erfolglos deswegen. Zu einem „erfolgreichen“ Leben zählen mehr Faktoren als die Frage, habe ich ADHS oder nicht! Der wichtigste Faktor für ein „erfolgreiches“ Leben ist es doch, sich auf seine Stärken zu konzentrieren und seine Schwächen zu kennen.

Und ich habe eine Schwäche für alle, die mit ADHS umgehen müssen, können oder dürfen!


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