Wenn es mal nicht läuft oder ADHS: Abschluss dringend heute schaffen!

Dass bei den Hausaufgaben zu wenig gelobt wird, hatte ich ja schon beschrieben. Wir Eltern meckern viel zu häufig ausgiebig und mit großer Freude an den Aufgaben unserer Kinder herum.

Als unsere Tochter nach der Methode „Lesen durch Schreiben“ zu schreiben begann, waren wir gehalten, so wenig wie möglich zu intervenieren. Das war nicht immer leicht, wenn Kinder Worte schreiben wie „Rütmuss“. Es gelang mir meistens, mich zurück zu halten. Einmal jedoch war der Fehler so scheußlich, dass ich doch mal daraufhinweisen wollte. Meine Tochter hörte mir zu, klappte dann das Heft zu und sagte: „Frau K. hat gesagt, Fehler sind zum Lernen da!“ – Welch großartige Pädagogin! Ein Lob auf ihre Gelassenheit und Weitsicht. – Denn unsere Tochter hat es trotz allem geschafft, der deutschen Sprache mächtig zu werden.

Im bester Tradition will ich diesen Eintrag formulieren. Man kann – auch bei total falschen – Hausaufgaben Dinge finden, die man loben kann: z.B. dass das Kind sich überhaupt hingesetzt hat und gearbeitet hat. Das ist doch gut. – Wie ärgerlich für das Kind, dass die Mühe nicht sichtbar wird. Oder nicht anerkannt.

Wenn Ihr Sohn von 20 Matheaufgaben nur 4 richtig hat, nehmen Sie einen Textmarker (grün oder gelb) und markieren Sie die vier und sagen völlig ernsthaft: „Hey! Vier Ausgaben sind richtig! Gestern waren es nur 3! Morgen werden es bestimmt 5! – Weiter so, mein Sohn!“  Das meine ich keineswegs ironisch. Überraschen Sie Ihr Kind mit einer positiven Rückmeldung, die eben niemanden stresst, sondern den Fokus auf die Mühe des Kindes legt. Schließlich lernt das Kind ja noch. Wenn es das schon alles könnte, müsste es ja nur noch „pro forma“ zur Schule.

Eine Erzieherin in einer Offenen Ganztagsschule hat mich mal tief beeindruckt, als Sie mir erzählte, dass es einen Jungen in ihrer Gruppe gebe, der keine fünf Minuten mit seinen Mitschülern draußen spielen könne, ohne dass es Krach gebe. Irgendwann hat sie nach drei Minuten(!) ihm zugerufen: „Du spielst heute toll!“ Der Junge schaute irritiert, spielte weiter und fragte nach weiteren drei Minuten, ob er immer noch gut spiele. Und er bekam abermals eine positive Rückmeldung: „Ja!“ An diesem ersten Tag der Intervention schaffte er es für fast 10 Minuten. „Und heute“, so schloss die kompetente Kollegin stolz, „sind wir bei dreißig Minuten!“

Das ist eine Versechsfachung (!) der Ergebnisse. Das würde – umgerechnet auf unser Mathe-Beispiel – bedeuten, dass Ihr Kind nach einigen positiven Rückmeldungen und Versuchen, 24 von 20 Aufgaben richtig rechnen würde! Das wäre doch phantastisch ..!

Ja, ich weiß, was die Skeptiker denken und sagen: Aber der muss doch lernen, weil er sonst den Anschluss verpasst. Und vor dem geistigen Auge sehen diese Eltern wie der achtjährige in der dritten Klasse die Mathe-Arbeit versemmelt. Dann kriegt der nie eine Gymnasial-Empfehlung, kommt allenfalls mit etwas Glück auf die Hauptschule, gerät spätestens in der 7. Klasse an die falschen Freunde, nimmt Drogen, schafft infolgedessen keinen Abschluss, findet keinen Job, nimmt noch härtere Drogen und verstirbt mit 37 neben einer brennenden Mülltonne unter einer Brücke an den Folgen seiner Leberzirrhose.

Nein, meine lieben Eltern. Es ist nichts passiert, wenn die Matheaufgabe nicht richtig gelöst wurde und es gibt viele Menschen, die ein sehr glückliches Leben führen, ohne je eine Uni von innen gesehen zu haben.

Natürlich bin ich auch dafür, dass Kinder einen guten Schulabschluss machen. Aber doch nicht mit neun Jahren! Die haben doch noch Zeit für die Entwicklung.

Für den ADHS-Leser:

Bei Hausaufgaben alles loben, was in Richtung selbstständiges Arbeiten geht. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut und kein Kind macht mit 9 einen Schulabschluss.


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