ADHS: Angetraute, Denkvermögen, Hochbegabte, Senioren oder was wird aus den ADHS-Kindern, wenn sie groß werden?

Dass Eltern unter ADHS leiden, habe ich ja schon ausführlich beschrieben – sie leiden eben unter dem ADHS ihrer Kinder. Aber Erwachsene können sehr wohl noch Symptome zeigen. ADHS ist keine Störung, die sich mit dem Einsetzen der Pubertät von alleine erledigt. Das tut sie eben nur bei etwa der Hälfte der betroffenen Kinder. Die anderen 50% behalten die Symptome. Oder wenigstens viele der Symptome. Die Hyperaktivität und die Impulsivität nehmen meistens ab.

Viele der ADHS-geplagten Eltern hatten selber eine ADHS-Problematik als Kind oder haben einen Partner gewählt, der eine solche Problematik hatte. Daher mein Rat an die Frauen auf Partnersuche: Lassen Sie sich von der Schwiegermutter doch mal Kinderfotos zeigen und seien sie sehr neugierig, wenn es um „alte Geschichten“ geht. Der Partner wird das nicht gerne sehen und hören, aber mit den gehörten Geschichten können Sie immer noch entscheiden, ob es eine gute Idee ist, mit einem vermeintlichen Ex-ADHSler Kinder zu zeugen. Vielleicht doch lieber ein Kind adoptieren, wenn die Geschichten aus der Kindheit des zukünftigen Gatten zu wild klingen. Wenn der Rat für Sie jetzt zu spät kommt … kurz Luft holen und weiterlesen. So schlimm ist das alles gar nicht! Aus Ihren Kindern können doch noch ganz manierliche Leute werden, immerhin haben Sie sich ja mal in den Vater verliebt. Irgendwas macht der ja richtig im Leben!

Es überrascht etwas, dass die Erwachsenen erst so spät in den Fokus der ADHS-Forscher geraten sind. Erst Anfang des 21. Jahrhunderts stieg die Zahl der wissenschaftlichen Arbeit deutlich an (Retz-Junginger et al., 2002).

Erwachsene mit ADHS haben meist mehr Jahre in der Schule verbracht als ihre Klassenkameraden. Jedoch hält sich ihr „Gewinn“ in Grenzen, sie machen häufig schlechtere Abschlüsse, obwohl vom reinen IQ-Wert sie durchaus mithalten könnten. – Da ist eine deutliche Parallele zur Deutschen Bahn: Man zahlt ein Ticket für eine Fahrt von, sagen wir, zwei Stunde, bekommt dann jedoch deutlich mehr Fahrtzeit geschenkt von der Bahn! Und nicht selten darf man dann statt in Köln Hauptbahnhof bereits in Deutz den Zug verlassen – wegen „dringend notwendiger Gleisarbeiten“. Vielleicht hat die Deutsche Bahn einfach ADHS?

Nach dem mieseren Schulabschluss bekommen ADHSler häufig schlechter bezahlte Jobs – und das obwohl es mehrheitlich Männer sind. Ja, nicht nur Frauen werden für die gleiche Arbeit schlechter entlohnt.

Kinder mit ADHS suchen sich gerne genau jene Ausschnitte der Wirklichkeit aus, in denen sie Erfolge einfahren können. Das überrascht nicht wirklich, das machen wir alle so. Wer besonders schön singen kann, sollte nicht zum Finanzamt gehen und wer umgekehrt gut mit Zahlen umgehen kann, wird vielleicht niemanden begeistern, wenn er öffentlich singt. (Ausnahmen sind denkbar, aber Sie verstehen meinen Punkt.) Einige Erwachsene mit ADHS sind im „Nischen-Surfen“ so erfolgreich, dass ihre ADHS sozusagen keine Rolle in ihrem Leben spielt, weil sie in dem Ausschnitt der Wirklichkeit, in dem sie gut sind, so gut sind, dass das Fehlen anderer Fähigkeiten nicht weiter ins Gewicht fällt. Wer würde einem erfolgreichen Kreativ-Direktor vorwerfen, dass er zwar vor Ideen nur so sprüht, aber grundsätzlich alle Belege für die Steuer verbummelt. Eben. Der Kreativ-Direktor hat eine kluge Assistentin (die er hoffentlich gut bezahlt!), und die sammelt dann für ihn die Belege.

Oder falls es mies gelaufen ist, sitzt der ADHSler doch beim Finanzamt, kann aber seinen Bewegungsdrang bei der regelmäßigen Teilnahme an irgendwelchen Triathlon-Veranstaltungen kompensieren.

Es gibt eine Zeitspanne, in der es sich lohnt ADHS zu haben: zwischen 15 und 25; denn ADHSler haben nicht nur früher den ersten Sex ihres Lebens, sondern sie haben deutlich mehr Sexualpartner als andere. (Davon träumen viele Studenten.) Leider eben auch mehr Geschlechtskrankheiten. Und später haben sie größere Probleme, eine längerfristige Beziehung zu haben. (Davon träumen viele Ehemänner mit steigernder Ehedauer.)

Erwachsene mit ADHS tun sich sehr schwer, Ziele zu erreichen, die sie sich selber gesteckt haben – dies gelingt mit therapeutischer Intervention besser (Lauth et al., 2010).

Was bei allem Witz tatsächlich tragisch ist, dass wir als Gesellschaft uns erlauben, das Potential, das diese Menschen mitbringen (Kreativität, Gerechtigkeitssinn, Empathie und Hilfsbereitschaft) leichtfertig zu ignorieren und uns häufig zu wenig bemühen in Schule und Ausbildung dafür zu sorgen, dass die Ressourcen zum Einsatz kommen und weniger die Defizite aufmerksam verfolgt und „ausgemerzt“ werden sollen.

Und liebe Eltern, wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter, zwar künstlerisch begabt ist, aber in der Schule nicht wirklich Erfolge feiern kann, tun Sie uns alle einen Gefallen, stellen Sie das Kind lieber auf eine Bühne als im Steuerbüro vor.

 


Für alle, die mehr wissen wollen:

Barkley, R.A., Fischer, M., Smallish, L und Fletcher, K. (2006) “Young Adult Outcome of Hyperactive Children: Adaptive Functioning in Major Life Activities” in Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, Seite 192-202

Lauth, G.W., Breuer, J. und Minsel, W.R. (2010): „Goal Attainment Scaling in der Ermittlung der Behandlungswirksamkeit bei der behavioralen Therapie von Erwachsenen mit ADHS“ in Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Seite 45-53

Retz-Junginger, P., Retz, W., Blocher, D., Weijers, H.G., Trott, G.E., Wenders, P.H und Rösler, M. (2002): „Wender Utha Rating Scale (WURS-k)“ in Der Nervenarzt, Seite 830-838

Schmidt, S. und Petermann, F. (2008): „Entwicklungspathologie der ADHS“ in Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie,  Seite 265-274


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