Manchmal wenn ich über ADHS gesprochen habe – sei es nun in Form von Vortrag oder Kabarett – kommen anschließend Leute zu mir und sagen: „Sagen Sie mal: ADHS ist doch eine Modeerscheinung, nicht wahr!?“ Das ist natürlich keine Frage, das ist ein Statement. Ich weiß dann nie, was ich sagen soll und ich grübele seit Langem darüber, was die Leute genau meinen mit dem Wort „Modeerscheinung“.
Ist es mir bisher entgangen, dass es eine Verbindung von psychischen Störungen und der Mode gibt? Gewiss, mancher Modemacher hat schwer einen an der Waffel, aber deswegen ist er ja nicht gleich krank im Kopf. Haben Therapie-Szene und Mode-Branche mehr gemeinsam, als mir bewusst ist? Vielleicht gibt es ja doch Störungs-Moden in der Psychiatrie. Kommt daher der Begriff „Nervenkostüm“?
Die Modewelt trifft sich regelmäßig in Mailand oder Paris und vielleicht treffen sich Psychologen und Psychiater in den Metropolen der Psycho-Mode – wie z.B. Landau oder Bad Orb – und sie beraten im Geheimen über die neuesten Trends? Also eine Art Prêt-à-porter für die Therapeuten. Und während essgestörte Modells – zu dürr oder zu dick, je nach Störung – auf dem schmalen Catwalk zwischen Genie und Wahnsinn gewagte und ausgefallene Symptome präsentieren, sagt der Moderator: „Also Burn-out ist out, dieses Jahr trägt der Gestörte von Welt wieder Psychose.“
Was in diesem Falle auf jeden Fall verneint werden muss, denn ganz andere Störungen sind im Moment „en vogue“: Unter dem modischen Gesichtspunkt ist Donald Trump eben kein übler Narzisst mehr, sondern ein psychiatrischer Trendsetter. Bald folgen wir seinem Beispiel und rufen: „Schaut her, ich bin so geil. So geil war vorher noch keiner!“ – Ohne dass wir den Anflug einer Leistung zeigen müssten. Wir würden dann zum Beispiel nicht mehr selber kochen und unser Essen genießen. Nein! Wir würden es fotografieren und der ganzen Welt davon berichten, ob es denen gefällt oder nicht. Wobei ja keiner mehr Zeit haben wird, denn man muss ja noch rasch ein Nabel-Schau-Selfie machen. Wussten Sie übrigens, dass echte Narzissten niemanden leiden können, nicht mal sich selber!?
Angenommen die Parallelen von Psycho-Szene und Modewelt sind vorhanden, dann wären die komorbid gestörten, also die mit zwei oder mehr Diagnosen, die Schillernden, quasi die Harald Glööcklers der Psycho-Szene. (Wobei mir bei Glööcker immer die letzten Worte von Oscar Wilde in den Sinn kommen: „Entweder geht diese scheußliche Tapete oder ich!“).
Wäre es denkbar, eine Sendung wie Shopping-Queen zum Thema ADHS zu machen, in der Guido Maria Kretschmer die Kandidatinnen auffordert: „Style Dich im angesagten Zappel-Look und trage unterschiedliche Socken und Muster!“ und im rosaroten Bus bekommen die Teilnehmerinnen dann 500 Euro, vier Stunden Zeit und eine Ritalin-Tablette? Und wäre es nicht angezeigt, dass zum Nachteilsausgleich die verträumten ADSler, weil sie für alles länger brauchen, eine Stunde mehr Zeit bekommen?
Und die großen Psychose-Mode-Häuser präsentieren auch Düfte, die dann folgender Maßen beworben werden: Ein junger, adretter Asperger-Patient blickt in die Kamera und sagt: „Ich benutze das neue IGNORANT von Boss!“
Aber all dies bringt uns nicht weiter, bei der Beantwortung der Eingangsfrage. Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob ADHS eine Modeerscheinung ist, ich weiß nur, dass das seit 150 Jahren behauptet wird!